Die Transformation von CATIA V5 zu 3DEXPERIENCE ist nicht nur ein Release-Wechsel

3DEXPERIENCE ist im deutschen Markt angekommen

Seit nunmehr über 10 Jahren hat Dassault Systèmes die Nachfolgelösung für Catia V5 im Angebot. Inzwischen ist die Reife von 3DEXPERIENCE so weit, dass die ersten großen Firmen mit dem Umstieg beginnen. So hat z. B. BMW vor kurzem die strategische Partnerschaft mit Dassault Systèmes bekannt gegeben. Doch die Einführung von 3DEXPERIENCE als Engineering-Plattform ist deutlich mehr als der bloße Umstieg auf ein neues CAD-System (Computer-Aided Design).

Der Mehrwert von 3DEXPERIENCE

Für künftige Herausforderungen der Produktentwicklung ist es nötig, auf einer disziplinübergreifenden Plattform einen stets aktuellen Stand des virtuellen Fahrzeugs während der Produktentstehung zu haben, an dem parallel gearbeitet werden kann.

Die starke Integration von Simulations-, Absicherungs- und Visualisierungsprozessen ermöglicht es, einen virtuellen Zwilling aufzubauen und zu erproben. Die ersten physischen Prototypen werden dann erst später im Entwicklungsprozess gebaut, Ressourcen entsprechend geschont.

Diese beiden Aspekte bilden das Fundament von 3DEXPERIENCE, wohin gegen CATIA V5 eher als CAD-System ausgerichtet ist.

Die Migration, kommend von den bestehenden Systemlandschaften, die von dateibasierter Datenhaltung in den klassischen PDM-/TDM-Systemen geprägt sind, wird mit Sicherheit einige Herausforderungen mit sich bringen. Zusätzlich müssen viele Schnittstellen in den Folgeprozessen berücksichtigt werden und diese ebenfalls in der neuen Architektur integriert werden.

Migrationsansätze von Zusatzapplikationen in der Geometriegestaltung

Betrachten wir zuerst den Geometriegestaltungsprozess, also die klassische CAD-Funktionalität. Viele Firmen nutzen heute selbst entwickelte Zusatzapplikationen unter Catia V5 auf Basis von CAA (Component Application Architecture) oder Automation, um ihre fachspezifischen Inhalte modellieren und ihre Prozesse optimieren zu können. Beispiele hierfür sind die Prozesse der Verbindungstechnik oder der 3D-Messplanung für die geometrische Absicherung.

Diese Tools können prinzipiell auf 3DEXPERIENCE portiert werden. Im Gegensatz zu dem Umstieg von V4 auf V5 bleibt das IT-architektonische Grundgerüst erhalten und basiert weiter auf der Component Application Architecture (CAA) mit der Programmiersprache C++ und der Middleware COM (Component Object Model). Dennoch sind einige Randbedingungen zu beachten:

  1. Analyse des Funktionsumfangs von 3DEXPERIENCE:

Einige Tools werden mit den Möglichkeiten von 3DEXPERIENCE überflüssig, da die Funktionalität schon out-of-the-box enthalten ist. Wenn diese bestehenden Tools keine Systeme außerhalb von CATIA bedienen, können sie abgeschaltet werden.
Oft sind jedoch auch im Gestaltungsprozess weitere proprietäre Systeme oder Datenbanken im Einsatz, die vorerst weiter bedient werden müssen, da diese wiederum Folgesysteme (z.B. Werkzeuge der Digitalen Fabrik) versorgen. In diesem Fall müssen die bestehenden Tools migriert oder Schnittstellen neu implementiert werden.

  1. Analyse des Source-Codes:

Dassault stellt ein Analysetool bereit, welches den bestehenden Code von CAA-Applikationen daraufhin überprüft, welche API-Methoden/Klassen/Interfaces verwendet werden, die für die Nutzung in 3DExperience angepasst werden müssen. Das Analysetool geht sogar so weit, dass es eine grobe Abschätzung ermöglicht, wie viele Personenmonate die Anpassung voraussichtlich erfordert.

  1. Migrationsbedarf für Ziel- und Übergangsszenario:

Aus der Analysephase sollte hervorgehen, ob die Applikationen in der neu gestalteten Prozess- und Systemwelt noch notwendig sind. Einige Applikationen werden vielleicht im Zielzustand überflüssig, müssen aber für einen gewissen Zeitraum (Mischbetrieb von alter und neuer Welt) noch verfügbar sein.

  1. Konzept für neue Applikationen:

Auch das mächtige Werkzeugset von 3DEXPERIENCE kann nicht alle, teils firmenspezifische, Prozesse abbilden. Es werden somit auch Anforderungen an neue CAA-Applikationen entstehen. Aus unserer Erfahrung sind dies Applikationen für:

  1. Optimierung der Performance
  2. Nutzung von firmenspezifischen Zusatzattributen
  3. Ausleitung von firmen- oder fachbereichsspezifischen Stücklisten
  4. Ermöglichung von Mischbetrieb und Interoperabilität
  5. Import/Export in der Prozesskette nach der Produktkonstruktion
  6. Umgehen von Limitierungen in der Zeichnungsableitung

Weitere Aspekte bei der Migration von CATIA V5 zu 3DEXPERIENCE

Durch den großen Funktionsumfang von 3DEXPERIENCE muss man neben der geometrischen Gestaltung auch die kollaborativen Prozesse während der Produktentwicklung betrachten. Dies sind z. B. CAE-Simulationen (Computer-Aided Engineering), Fertigungsmittelkonstruktion oder die Werkzeuge der Digitalen Fabrik. In einem fachlichen und technischen Zielbild muss definiert werden, welche Capabilities des Unternehmens von welchem System unterstützt werden sollen. Durch den kollaborativen Ansatz von 3DEXPERIENCE können hier eventuell weitere Prozessoptimierungen erzielt werden. Ein Schnitt kann jedoch nicht nur aus technischen, sondern auch aus strategischen Gründen erfolgen (z. B. die Reduktion der Abhängigkeit von einem einzelnen Softwarehersteller).

Erst nach Berücksichtigung aller Aspekte kann eine valide Aussage über das Migrationsszenario getroffen werden. Da die Migration im Regelfall nicht in einem sogenannten „Big-Bang“, sondern stufenweise erfolgt, ist ein Mischbetrieb nötig. Es werden z. B. innerhalb der Entwicklung die ersten Module auf 3DEXPERIENCE arbeiten. Diese müssen aber auch Daten von den anderen Modulen berücksichtigen. In den Folgeprozessen, z. B. in der Zugänglichkeitsuntersuchung für Handlings Roboter müssen die Daten für den Übergangszeitraum im heute bekannten Format bereitgestellt werden. In beiden Fällen entsteht der Bedarf, temporäre Lösungen zur Prozess- und Dateninteroperabilität zu gestalten.

Fazit zur Migration von CATIA V5 auf 3DEXPERIENCE

Die Migration von CATIA V5 auf 3DEXPERIENCE ist keine einfache technische Migration, sondern in Teilen auch die Einführung einer neuen Prozess- und IT-Welt in der Produktentstehung. Vor der technischen Migration müssen fachliche, technische und strategische Analysen durchgeführt und weitreichende Entscheidungen getroffen .

Wir freuen uns auf Ihr Feedback und berücksichtigen gerne Ihre Anregungen und Fragestellungen in unserem nächsten Impuls. Bitte richten Sie diese an unseren Experten Stefan Heil! 

Bildquellen: CATIA V5 | Dassault Systèmes (3ds.com); CATIA V5 Technological Specs Review – 4D Systems (4dsysco.com)